"Resistance Climbing"

Klettern im Westjordanland

Ein Interview mit Andrew Bisharat

Andrew, du bist Journalist, Autor und natürlich Kletterer und hast für viele verschiedene Kletter- und Outdoorzeitschriften geschrieben. Wie ist es, wenn man plötzlich selbst als Protagonist in einem Film im Mittelpunkt steht?

Um ehrlich zu sein, ich sehe mich gar nicht so sehr als Protagonist in diesem Film. Die palästinensischen Kletterer sind die eigentlichen Stars und die echten Helden. Ich betrachte ihre Situation nur als ein außenstehender Beobachter und bin eher ein Mittel zum Zweck, um ihre Geschichte zu erzählen.

„Zuerst habe ich etwas gezögert, als ich gefragt wurde, ob ich bei diesem Filmprojekt dabei sein will.”

Trotzdem ist deine eigene Geschichte, bzw. die Geschichte deiner Familie auch ein wichtiger Teil des Films. War das von Anfang an so geplant?

Eigentlich wollte ich einfach so nach Palästina fahren, um das Haus meiner Großeltern zu sehen – davon hatte ich schon mein ganzes Leben lang geträumt. Ich dachte, wenn ich auf dieser Reise auch noch gefilmt würde, würde das meine persönliche Erfahrung verfälschen und ich war mir nicht sicher, ob ich das wollte. Ich habe einige Wochen darüber nachgedacht und letztendlich meine Bedenken zur Seite geschoben. Weil mir klar wurde, dass wir hier einfach eine super Gelegenheit hatten, um eine einzigartige Geschichte aus der Kletterwelt zu erzählen.

Welche Rolle spielte Tim Bruns bei diesem Filmprojekt? Kanntest du ihn schon vorher?

Tim hat drei oder vier Jahre in Palästina gelebt. Und er hatte mich schon lange vor dem Filmprojekt kontaktiert und mir vorgeschlagen, dass ich etwas über seine Arbeit schreiben solle und über die Kletterhalle, die er dort gegründet hat. Wenn man Journalist ist, bekommt man viele solcher Anfragen. Daher war ich zuerst etwas skeptisch, was seine Motivation anging. Es gibt Leute, die eher sich selbst als ihre Projekte promoten wollen. Doch während unserer Gespräche kam ich zu der Überzeugung, dass das bei ihm nicht der Fall war. Er meinte, wir sollten unbedingt einmal zusammen ins Westjordanland fahren. Ich erzählte ihm von meinen palästinensischen Wurzeln und zeigte ihm ein paar alte Familienfotos. Danach war seine Begeisterung noch größer. Dem Reel-Rock-Team hatte er nämlich auch schon seit Jahren in den Ohren gelegen, einen Film über Palästina zu machen. Nick Rosen und Peter Mortimer waren interessiert, wussten aber nicht so richtig, wie sie die Sachen anpacken sollten.

Am Ende war also deine Reise der die perfekte Grundlage für einen Film über die palästinensische Kletter-Community. War es auch dein erster Besuch in der arabischen Welt?

Ein Teil unserer Familie lebt in Jordanien und im Libanon und dort war ich auch schon einmal, zusammen mit meinem Vater. Er ist ein Beirut aufgewachsen. Aber in Jerusalem oder in Palästina war ich noch nie.

Hast du dich in Palästina sicher gefühlt? Waffen scheinen dort allgegenwärtig zu sein.

Ich hatte zwar keine Angst, dass ich erschossen werden würde, aber ich habe sofort gespürt, dass eine gewisse Spannung in der Luft liegt. Du gehst durch die Straßen und Israelis werfen dir feindselige Blicke zu. Ein vielleicht fünfzehnjähriger Teenager starrte mir in die Augen und stieß mir den Ellenbogen in die Seite, als wir aneinander vorbeigingen. So etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt. Bei den Checkpoint-Kontrollen haben sie mich trotz meines US-amerikanischen Passes rausgezogen und befragt, weil ich einen palästinensischen Namen habe und eben auch so aussehe. Für mich war das alles eine vollkommen neue Erfahrung. Aber das ist Alltag für die Palästinenser dort. Besonders an Orten wie Jerusalem, wo die Bevölkerung gemischt ist. In der palästinensischen Stadt Ramallah kann man sich als Palästinenser natürlich viel freier bewegen.

„Nichts in Palästina ist frei von Politik.“

Im Film haben wir gesehen, welche Auswirkung der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern auf die Freizeitgestaltung hat. Dabei sollten Sport und Politik doch eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Wie denkst du darüber?

Wenn man so eine Aussage treffen kann wie: „Sport und Politik haben nicht miteinander zu tun“, dann ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass man in einem gesunden politischen System lebt. Die Politik soll uns die Freiheit geben, eben nicht darüber nachdenken zu müssen. Politik soll uns nicht kontrollieren. Wir sollten als Individuen leben können, die verschiedene Interessen haben. In einer Gesellschaft, wo man sich eben auch um solche Nebensächlichkeiten kümmern kann, wie welche Mannschaft das Spiel gewonnen oder ob man beim Klettern eine Route geschafft hat. Nichts in Palästina ist frei von Politik, auch nicht das Klettern. Das ist kein Idealzustand. Man möchte in einer Gesellschaft leben, in der man nicht den Launen der Politik ausgesetzt ist. Das wäre das Ziel. Dass man sagen kann: Ich will einfach klettern gehen und nicht über Politik nachdenken. Aber das entspricht einfach nicht der Lebensrealität der Menschen in Palästina. Viele Leute aus unserem Film haben schon einmal im Gefängnis gesessen. Und jede:r kennt eine Person aus dem näheren Umfeld, die schon einmal illegal inhaftiert wurde. Das ist dort einfach Realität.

Wenn man Tag für Tag mit dieser Ungerechtigkeit lebt, ist sie die Normalität. Können sich die palästinensischen Kletter:innen überhaupt vorstellen, wie es anders sein würde?

Einige der palästinensischen Kletter:innen hatten die Gelegenheit in diesem Frühjahr zu uns in die USA zu kommen und waren dann für einen Monat hier bei mir in Colorado. Das war großartig. Hier haben sie erlebt, wie Freiheit sich anfühlen kann. Dass es möglich ist, sieben Stunden quer durch Colorado fahren kann, ohne einen einzigen Checkpoint zu passieren, und dass man an jeder Ecke klettern und Abenteuer erleben kann. Da wird einem der Unterschied umso deutlicher bewusst. Mehr kann man darüber eigentlich auch sagen als: Leben ist an unterschiedlichen Orten einfach unterschiedlich.

Umso schöner ist es, dass es mit dem Besuch in Colorado geklappt hat.

Ja, aber es war nicht einfach, die Kletter:innen zu uns einzuladen. Ihre Visaanträge wurden zunächst abgelehnt. Wir mussten noch mal explizit beim Außenministerium nachfragen. Ohne den Film und Empfehlungsschreiben von verschiedenen Filmfestivals hätte es wohl gar nicht funktioniert.

„Ich habe hauptsächlich positives Feedback zu unserem Film bekommen.“

Bei unserer Reel-Rock-Premiere in München war das Publikum begeistert. Wie haben die Zuschauer:innen in den USA auf den Film reagiert?

Ich habe hauptsächlich positives Feedback zu unserem Film bekommen. Und das ist wunderbar, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Es gab eine israelische Frau, die mich bei der Premiere des Films in Boulder angeschrien hat. Aber sowas ist nur ein einziges Mal passiert.

Die Reel Rock hat in ihren Kletterfilmen schon öfter wichtige gesellschaftliche Themen aufgegriffen. Was denkst du, worauf beruht der Erfolg dieses Films?

Zu einem großen Teil liegt das wohl daran, dass die Reel-Rock-Filmemacher einfach einen super Job gemacht haben. Es ist ein schwieriges Thema, bei dem man sehr vorsichtig vorgehen musste. Darüber hinaus denke ich, dass die Zuschauer:innen immer positiv auf Geschichten reagieren, bei denen die Menschen im Mittelpunkt stehen. Aber solche Geschichten findet man eben nicht immer am oberen Ende des Leistungsspektrums, so beeindruckend diese Leistung auch sein mag.

„Für mich ist dieser Film ein ganz besonderer Teil meines Lebens.“

Was bedeutet der Film für dich persönlich?

Für mich ist dieser Film ein ganz besonderer Teil meines Lebens. Zum Einen, weil ich sehe, welchen Wirkung er auf die Zuschauer:innen hat, zum anderen, weil er eben auch eine Veränderung bei den Kletter:innen im Westjordanland bewirkt hat.

Was zum Beispiel?

Allein die Möglichkeit, zu uns zu kommen und Mehrseillängenrouten in der Wüste zu klettern, zum Beispiel in Indian Creek. So etwas gibt es dort ja gar nicht. Außerdem konnten Tawfiq und Urwah während ihrer Zeit in den USA in Vail bei einem Boulderwettkampf, bei einem ein offizieller Weltcup, teilnehmen. Es war alles eine Nummer zu groß für die beiden - Urwah hat nur ein einziges Boulderproblem geschafft - aber sie hatten so viel Spaß und haben jeden einzelnen Versuch genutzt und geklettert, bis ihre Finger ganz abgewetzt waren. Es war großartig.

Gab es auch direkte Auswirkungen auf das Westjordanland?

Wir haben dort einige Sonnenenergieprojekte angestoßen und Spenden dafür gesammelt. Alex Honnold war einer unserer großzügigsten Spender, er ist wirklich ein toller Typ. Die Arbeiten an den Projekten haben jetzt begonnen und wenn ich das nächste Mal nach Palästina fahre, werde ich hoffentlich schon die ersten Resultate zu sehen bekommen – wie die Solarpanels der dortigen Kletter-Community zugutekommen.

Weißt du schon, wann du wieder hinfahren wirst?

Voraussichtlich im Dezember. Durch die Dreharbeiten habe ich beim letzten Mal leider nicht so viel vom Land gesehen, wie ich eigentlich wollte.

Vielen Dank für das Gespräch!